Neulich habe ich von meiner kleinen Cousine ein Candy-Bracelet geschenkt bekommen. Einfach so. Ich ließ die bunten Perlen durch meine Finger gleiten – und plötzlich musste ich an etwas denken, das Renji mir einmal erklärt hat. Ein Gespräch, das mich bis heute beschäftigt.
Renji hatte mich damals angesehen und gefragt: „Aoi, du bist jetzt 16. Dein Körper hat seit deiner Geburt schon mehrmals komplett neue Zellen gebildet. Deine Gedanken von heute sind anders als vor einem Jahr. Deine Gefühle wechseln ständig. Aber irgendetwas in dir… ist immer gleich geblieben. Was ist das?“
Ich wusste es erst nicht. Dann sagte ich: „Vielleicht… ich? Also irgendwas ganz tief drin.“
Renji lächelte. „Genau. Dieses leise, stille Gefühl: Ich bin. Alles andere kann sich verändern – aber das bleibt.“
Und dann zeigte er mir sein Armband aus Holzperlen: Die Perlen sind deine Gedanken, Emotionen, Erinnerungen, Erfahrungen. Sie können sich verändern, abfallen, neu dazu kommen. Aber die Schnur, die alles zusammenhält – die bleibt gleich.
Neti Neti: Die alte Kunst der Selbsterforschung
Renji hat mir später etwas aus der indischen Philosophie beigebracht. Es heißt Neti Neti.
Das bedeutet: „Nicht dies, nicht das.“ Es ist eine Art, sich selbst zu untersuchen – nicht mit komplizierten Gedanken, sondern mit einer simplen Frage:
Was bleibt von mir übrig, wenn ich alles abziehe, was wechselhaft ist?
Ich bin meine Gedanken nicht.
Sie kommen und gehen.
Ich bin meine Gefühle nicht.
Sie steigen auf, verändern sich, verschwinden wieder.
Ich bin meine Erfahrungen nicht.
Sie sind Erinnerungen – nicht das, was ich jetzt gerade bin.
Ich bin nicht mal mein Name.
Den habe ich irgendwann bekommen. Und ich könnte ihn ändern.
Und so geht man weiter, Schicht für Schicht.
Was bleibt am Ende übrig?
Das stille „Ich bin“
Wenn du alles abziehst – alle Gedanken, Emotionen, Meinungen, Erlebnisse, Rollen, Erinnerungen – … bleibt etwas übrig, das sich nicht beschreiben lässt.
Kein Bild.
Kein Wort.
Kein Gedanke.
Nur dieses stille, klar spürbare „Ich bin.“
Es ist so, wie Renji einmal gesagt hat:
„Du kannst deine eigenen Augen nicht direkt sehen. Nur im Spiegel. Und trotzdem weißt du, dass du sie hast.“
Genauso ist es mit diesem tiefen Selbst. Man kann es nicht anschauen – aber man kann es fühlen. Es ist der Hintergrund von allem, was du erlebst.
Ein Ort in dir, der unverwüstlich ruhig ist, der auch niemals verwundet worden ist.
Ein Punkt, der niemals Stress hat.
Eine Stille, die du nicht machen musst – sie ist schon da.
Warum Meditation dabei hilft
Meditation ist nicht dazu da, „perfekt“ zu werden oder keine Gedanken mehr zu haben.
Meditation hilft dir, die Perlen kurz beiseitezulegen … und die Schnur zu spüren. Du setzt dich hin, atmest, merkst, was in deinem Kopf passiert – und darunter taucht manchmal dieses leise Gefühl auf:
„Ich bin.“
Nicht mehr, nicht weniger.
Probier’s aus
Wenn du magst, mach das heute Abend mal:
-
Setz dich hin.
-
Atme zweimal ruhig ein und aus.
-
Frag dich:
„Was bleibt von mir übrig, wenn ich meine Gedanken loslasse?“ -
Sag dir ruhig innerlich:
„Nicht dies, nicht das.“ -
Spüre, was dann da ist.
Es geht nicht um Ergebnisse. Es geht nicht darum, etwas Besonderes zu erleben. Es geht darum, das kennenzulernen, was immer da war – auch in deinen schwersten Momenten.
Etwas, das nie kaputt geht. Das stille, klare:
„Ich bin.“
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