Wege, wie Angst verlaufen kann – und warum sich einer davon langfristig besser anfühlt

"Ich dachte lange, mein Handy würde mich beruhigen. Wenn ich scrolle, passiert wenigstens etwas. Ein neues Video, eine Nachricht, ein Like. Mein Kopf wird kurz leiser. Nicht ruhig – nur leiser.

Früher habe ich das nicht Angst genannt. Ich habe gesagt, ich bin halt online. Immer.
Dann habe ich festgestellt: Wenn ich scrolle, muss ich nicht fühlen, wie eng es in mir wird. Nicht spüren, wie mein Herz schneller schlägt, ohne Grund.

Manchmal merke ich erst jetzt, wie verkrampft meine Schultern waren. Wie fest ich das Handy gehalten habe – als würde es mich halten.

Und dann gab es diese kurzen Momente, wenn der Akku leer war oder das WLAN weg.
Da war die Angst plötzlich da. Ungefiltert. Und ich habe verstanden: Ich hatte sie die ganze Zeit dabei. Ich habe sie nur überdeckt."

– マケナ (Makena)

 

Angst ist wirklich etwas komisches. Sie kommt oft plötzlich, fühlt sich riesig an – und will eigentlich nur eins: Sie will dich beschützen (fight oder flight).

Der Auslöser (der Trigger) kann ganz unterschiedlich sein:

  • eine Klassenarbeit

  • eine Präsentation

  • eine WhatsApp, die zu lange unbeantwortet bleibt

  • jemand, der dich kritisch anschaut

  • das Gefühl: „Ich bin gerade irgendwie nicht okay.“

Ab da kann Angst vier ganz unterschiedliche Wege nehmen – je nachdem, wie du reagierst [1]. Aber lass uns da mal Schritt für Schritt draufschauen. 

Wenn dich etwas triggert, geht die Angst erstmal hoch – das ist normal. Dein Körper schaltet auf Alarm, Herz klopft, Gedanken werden schnell. Viele denken dann: „Oh nein, das wird jetzt immer schlimmer!"

Die Angst steigt vielleicht je nach Situation bis zu ihrem Höhepunkt, also einer 10 von 10. Ein wirklich furchtbares Gefühl. Aber dein Körper kann diesen Zustand nicht 24 Stunden aufrechterhalten.

In Wirklichkeit verläuft die Angst wie eine Kurve: Sie steigt an, erreicht einen Höhepunkt – und fällt dann nach einer gewissen Zeit von selbst wieder ab, wenn du es schaffst in der Situation zu bleiben und es mal auszuhalten. Du kannst dies anhand der sandfarbenen Linie in der Grafik sehen. Dein Nervensystem kann gar nicht dauerhaft auf Maximal-Alarm bleiben. Es reguliert sich automatisch zurück.

Allerdings ist die Angst im Kopf so groß, dass man sich lieber ablenkt oder aus der Situation flüchtet, statt die Angst auszuhalten. Kurz fühlt sich das besser an – aber beim nächsten Mal kommt die Angst schneller zurück. Wenn du stattdessen bleibst und merkst: „Okay, sie geht wieder runter“, lernt dein Gehirn etwas Wichtiges: Angst ist unangenehm, aber nicht gefährlich – und sie geht vorbei.

1️⃣ Weglaufen oder Vermeiden

Kurz gut. Langfristig anstrengend.

Beispiel: Deine Freundin oder dein Freund meldet sich nicht auf deine Kurznachricht. Du hast Sorge, dass sie oder er Schluss macht. Nun scrollst du auf dem Handy rum und schaust viele, viele Kurzvideos. 

Was passiert?

  • Die Angst fällt ab 

  • Du bist erstmal erleichtert 😮‍💨 – aber die Angst zieht sich in so einem Auf und Ab hin

Aber: Dein Gehirn merkt sich: „Puh, gut dass wir das vermieden haben. Das war gefährlich.“

Beim nächsten Mal:

  • kommt die Angst früher

  • fühlt sie sich stärker an

  • und will dich noch schneller wegziehen

👉 Die Angst "lernt". Leider das Falsche.

2️⃣ Aushalten & bleiben

Unangenehm – aber überraschend wirksam.

Gleiche Situation. Gleicher Trigger. Aber diesmal bleibst du: Du lässt das Handy liegen. Fühlst in dich hinein. Meditierst. 

Was passiert?

  • Die Angst steigt erst weiter 📈

  • erreicht einen Peak

  • und fällt dann von selbst wieder ab

Ganz ohne Trick.

Wichtig: ❗ Angst kann nicht ewig hoch bleiben. Dein Körper ist dafür nicht gebaut.

Beim nächsten Mal:

  • steigt sie langsamer

  • wird nicht mehr ganz so hoch

  • geht früher wieder runter 

Genau dies stellt oben die Grafik dar.

👉 Dein Gehirn lernt: „Okay. War unangenehm, aber ich hab’s überlebt.“

Wichtig zu wissen

  • Angst ist kein Zeichen von Schwäche

  • Angst ist kein Fehler im System

  • Angst ist Energie, die dich schützen will – nur manchmal zu laut

Meditation und Achtsamkeit sind keine Tricks, um Angst sofort loszuwerden.
Sie helfen eher dabei,

  • nicht sofort zu flüchten

  • nicht alles zu kontrollieren

  • und ein bisschen mehr Raum zu schaffen

Und manchmal reicht genau das.

Literatur

1. Craske MG, Treanor M, Conway CC, Zbozinek T, Vervliet B. Maximizing exposure therapy: An inhibitory learning approach. Behaviour Research and Therapy 2014; 58: 10–23. DOI: 10.1016/j.brat.2014.04.006

Kommentar hinzufügen

Kommentare

Es gibt noch keine Kommentare.